Fahrt zu meinen Großeltern | ||||||||||
Ich musste mal wieder meine Großeltern in Dorstfeld besuchen. Also ging ich in Brackel zur Straßenbahnhaltestelle und sagte dem Beamten am Fahrkartenschalter: "Eine Rückfahrkarte nach Dorstfeld bitte". Doch der Schalterbeamte sah mich mit trauriger Miene an, schüttelte den Kopf und sagte "Es tut mir leid, unsere Straßenbahn ist gerade zur Hauptuntersuchung. Ich kann Ihnen leider keine Fahrkarte verkaufen". Was sollte ich nun tun? Meine Großeltern hatten extra für mich frische Antimaterie gebacken. Sie wären sicher sehr enttäuscht, wenn ich nicht kommen würde. Aber der Schalterbeamte wusste Rat: "Es steht noch eine Straßenbahn im Paralleluniversum", gab er mir im Vertrauen zu verstehen, "Im Paralleluniversum kann ich Ihnen eine Fahrkarte verkaufen". Das Paralleluniversum hatte diesselben Telephonleitungen und dieselbe Straßenbahn wie Dortmund, gehörte aber eben doch nicht zu diesem Universum. Es hieß Brambauer. Wenn ich in Brambauer in die Straßenbahn stiege, könnte ich an der Zeche Minister Stein rückwärts in die Schleife Lindenhorst fahren und käme dann im Dimensionssprung nach Dorstfeld. Das wäre einfach. Aber wie sollte ich jetzt nach Brambauer kommen? Wie jeder weiß, besteht Brambauer vollständig aus Käse. Damit auswärtige Besucher nicht die Straßen von Brambauer aufessen, lassen die Wächter an der Stadtgrenze nur Besucher passieren, die eine Allergie gegen Milchprodukte nachweisen können. Ich würde also ein Wurmloch brauchen, um heimlich nach Brambauer einzureisen. Dummerweise war der Wurmlochverkauf in Brackel im Rahmen der Reformation eingestellt worden. Ich musste einen Tunnel unter der Mauer der Kommende graben, um an das letzte verbliebene Wurmloch zu kommen. Der Boden war hart und ich schwitzte, während ich mich langsam mit Schaufel und Spitzhacke dem Wurmloch näherte. Der Schalterbeamte bereute seinen Rat und versuchte, mich von meinem Vorhaben abzubringen. "Das Wurmloch ist seit 1554 nicht mehr benutzt worden", redete er auf mich ein, "Sie wissen gar nicht, ob es überhaupt noch funktioniert!". "Sie haben keine Ahnung, in welche Ecke der Galaxie es sie verschlagen wird", schrie er und hüpfte vor Aufregung auf seinem Stuhl auf und ab. Der Sprechluke in seiner Glasscheibe wurde ganz schwindelig, weil sie die Worte gar nicht schnell genug herauslassen konnte. Daß das Wurmloch wirklich nicht mehr richtig funktionierte, merkte ich erst, als ich aus ihm heraustrat. Ich war immer noch in demselben Universum, wenn auch etwas mit den Telephonnummern nicht stimmte. Und es war weit und breit keine Straßenbahn zu sehen. Schließlich fand ich heraus, daß mich das Wurmloch nach Holzen gebracht hatte. Wie sollte ich jetzt bloß nach Brambauer kommen? Die Situation schien festgefahren. Zum Glück aber befand sich der Leiter des städtischen Amtes für transgalaktische Kooperation und interstellares Transportwesen in meiner rechten Hosentasche. Der würde mir sicher einen guten Rat geben können. Ich nahm also den Amtsleiter aus meiner Hosentasche, um ihn um Rat zu bitten. Doch ich hatte nicht auf die Uhrzeit geachtet. Der Amtsleiter schimpfte, seine Gleitzeit sei längst abgelaufen und es wäre weit und breit keine Stechuhr parat. Vor Wut sprang er laut tobend auf meinem Handrücken hin und her. Aber was hätte ich denn tun sollen? Das Stadthaus oder die Berswordthalle hätten nicht mehr in meine Hosentasche hineingepaßt. Und in meiner Geldbörse steckte bereits die Diskothek Orpheum drin. Die konnte ich nicht mehr zurückstellen, seit man dort ein neues Gebäude gebaut hatte. Also steckte ich den Amtsleiter wieder in meine Hosentasche und ging zu Fuß von Holzen zum Bahnhof Westhofen hinunter. Vielleicht würde ich dort eine Verbindung nach Brambauer finden. Doch der Bahnhofsvorsteher wollte keine Notiz von mir nehmen. Er war zu sehr damit beschäftigt, mit seinen Mitarbeitern die Bahnsteige zu schrubben. Die Bahnsteige blinkten und funkelten im Sonnenlicht, aber es würde noch Stunden dauern, bis auch die letzten Staubkörnchen beseitigt wären. So stand ich eine Weile untätig herum und schaute den Beamten zu, während die Intercitys vorbeirasten und die Zugbegleiter auf ihren Draisinen nur mühsam hinterherkamen. Ach, hätte ich doch bloß schon die Antimaterie meiner Großeltern gehabt! Mit der Antimaterie hätte ich Dortmund auf einen Punkt schrumpfen können und wäre direkt von Westhofen nach Brambauer gesprungen. Die Grenzwächter in Brambauer würden ganz schön blöd gucken, wenn plötzlich jemand über die Stadtgrenze zwischen Westhofen und Brambauer springen würde. Doch wie sollte ich jetzt an Antimaterie kommen? Niemand kann so gut Antimaterie backen wie meine Großeltern. Derweil schimpfte der Amtsleiter in meiner Hosentasche noch immer wie ein Wasserfall. Er würde seinen Schutzpatron rufen, den Heiligen Samtlebe. Wenn der Heilige Samtlebe und der Lange Meier mich in die Finger bekämen, erhielte ich nie wieder ein Visum für die Einreise nach Huckarde, nicht einmal zur Durchreise nach Mengede, schrie er mich an. Wütend holte ich den Amtsleiter aus meiner Hosentasche und warf ihn auf den Bahnsteig. Der Amtsleiter rutsche über den spiegelglatten Bahnsteig und fiel am Ende auf den Schotter, wo er in siebenundfünfzig Teile zersplitterte. Oh je, was hatte ich bloß angerichtet! Zum Glück gab es in der Westhofener Bahnhofsbuchhandlung einen speziellen Mehrkomponentenkleber für Dortmunder Amtsleiter, die in siebenundfünfzig Teile zerbrochen sind, im Sonderangebot. Während ich den Amtsleiter mühsam wieder zusammengeklebt hatte, war es schon spät geworden. Die drei grünen Sonnen waren untergegangen und statt dessen die Steckdosen am Himmel erschienen. Ich hatte nur noch wenig Zeit, um zu meinen Großeltern zu kommen. Durch die Kontinentalverschiebung war Brambauer inzwischen nach Australien gewandert. Doch sollte ich deshalb jetzt ein Loch in den Boden treiben? Bei meinem Pech würde ich wahrscheinlich auf einem ganz anderen Planeten herauskommen, womöglich sogar in Holzwickede oder in Wasserkurl. Und außerdem würde der Amtsleiter bei einer Erddurchquerung noch mehr schimpfen, gibt es doch am Erdmittelpunkt kein Formularwesen. Beherzt schnappte ich mir eine Lokomotive und beschloss, damit den Seeweg nach Brambauer zu finden. Man hatte erst vor wenigen Monaten durch Verwaltungsbeschluß alle Wasserläufe in abstrakte Vektorräume umdefiniert. So musste ich nur einen passenden Tensor auf meine Lokomotive anwenden und schon ging ich im Seehafen von Brambauer vor Anker. Der Schalterbeamte aus Brackel war auch schon da. Er schüttelte mir freundlich die Hand und führte mich zu der Straßenbahnhaltestelle. Zu diesem Zeitpunkt hatte man in Brambauer die Schwerkraft noch nicht eingeführt. Der Straßenbahnwagen tänzelte auf der Oberleitung herum und mehrere Personen hatten Mühe, ihn mit dicken Seilen festzuhalten, damit er nicht davonschwebte. Der Amtsleiter in meiner Hosentasche triumphierte. Immerhin war er es gewesen, der vor etlichen Jahren nach einer interstellaren Dienstreise die Erfindung der Schwerkraft nach Dortmund gebracht hatte. Wegen der fehlenden Schwerkraft musste ich für die Fahrkarte nach Dorstfeld einen Luftpostzuschlag zahlen. Ich hätte deshalb beinahe den Amtsleiter verpfänden müssen, doch das hätte dem bestimmt nicht gefallen. Gottlob war der mittlerweile eingeschlafen. Doch als die Straßenbahn die Stadtgrenze überquerte, fiel sie mit lautem Knall auf die Schienen, und der Amtsleiter in meiner Hosentasche fing wieder laut zu schimpfen an. Als wir wie geplant an der Zeche Minister Stein angekommen waren, hüpfte der Amtsleiter wie von der Tarantel gestochen aus meiner Hosentasche und verschwand auf Nimmerwiedersehen in der Evinger Bezirksverwaltung. Er hat sich noch nicht einmal mehr von mir verabschiedet. Schließlich setzte der Straßenbahnfahrer die Bahn rückwärts in die Schleife Lindenhorst, wo uns ein gekonnter Dimensionssprung nach Dorstfeld beförderte. So kam ich endlich nach der langen Irrfahrt doch noch zu meinen Großeltern. Ich war an diesem Abend nicht der einzige Besucher meiner Großeltern. In einer Ecke des Wohnzimmers hatte das Formularwesen es sich gemütlich gemacht. Deshalb hatte es also am Erdmittelpunkt gefehlt. Das Formularwesen ächzte und schnaufte und weil es sich unverstanden fühlte und wütend war, spie das Wesen Feuer aus seinem Rachen und legte damit allmählich das Haus meiner Großeltern in Schutt und Asche. Ach, hätte ich doch besser auf den Amtsleiter aufgepaßt! Der hätte sich mit dem Formularwesen sicherlich
gut verstanden.
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